Mit Thermik steigen
Ich beginne dieses Kapitel mal etwas provokativ.
Die Frage ist, was ist Thermikfliegen?
Antwort: Höhe gewinnen mit dem thermischen Aufwind.
Die Antwort heißt nicht: mit motorischer Hilfe!
© 2019 - Frank Schwartz, Fotos Monika Schwartz, alle Rechte vorbehalten

Freestyler-3 von TUD, Spannweite 2.849 mm, das Gewicht von 2.200 g ergibt eine Flächenbelastung von ca. 39 g/dm². Diesen wendigen F3B-Segler starte ich gerne an der Winde. Am Hang macht der universelle Flieger richtig Laune, vor allem wenn die Bedingungen gut sind und man aufballastieren kann.

Leider ist der Hochstart am Seil, ob Winde oder Gummi, etwas aus der Mode gekommen. Jedoch diszipliniert der antriebslose Segler den Piloten, seine Sinne stärker auf das Aufspüren und effiziente Ausnutzen der Thermik zu konzentrieren.
Eine entsprechende
Wettersituation und genügend Ausgangshöhe vorausgesetzt, steigt alles - auch
Motorflieger mit abgeschaltetem Motor. Aber sollte das unser Ziel sein? Ist
Thermikfliegen nicht eher, dass man in möglichst niederer Höhe beginnt, um dann
mit dem thermischen Aufwind den Höhengewinn zu erzielen?
Niedere Höhe ist natürlich relativ, sehr relativ. Die Ausgangshöhe für einen
Thermikflug bemisst sich neben der Wetterlage natürlich auch am Modell und dem
Trainingsstand des Piloten.
Wenn ich über das Thermikfliegen in der Ebene spreche, dann schwebt mir das
Ziel vor Augen, aus - sagen wir mal - 20 m Ausgangshöhe über Grund mindestens
zehn Minuten zu fliegen. Und das, ohne den Motor einzuschalten oder vielleicht
besser noch, ohne einen solchen eingebaut zu haben. Dass dies möglich ist,
beweisen die F3J- und F5J-Wettbewerbspiloten regelmäßig mit ihren 4-m-Seglern.
Klar, das setzt das geeignete Material und die nötige Übung voraus.
Es ist schon sensationell, wenn man in so niederer Höhe schon den Motor
ausschalten kann, um dann in Bodennähe schwächste Aufwinde und engste Bärte
auszukurbeln und davon zu steigen. Und das mit einem Modell mit so großer
Spannweite. Meine Begeisterung darüber findet kaum Grenzen.
Um die in Bodennähe noch sehr schlanken Bärte zu erwischen, ist oft eine
extreme Schräglage bei kleinen Kreisdurchmessern zu fliegen. Dabei hat man den
Eindruck, dass das kurven-innere Tragflächenende an einer Stelle steht. Leichte
Segler machen es möglich.

Sechs Klappen hat der Baukasten-Segler Inside F5J von Der Himmlische Höllein, Spannweite 2.895 mm, das Gewicht von 1.127 g ergibt eine Flächenbelastung von ca. 20 g/dm².
So extrem muss es natürlich nicht sein. Thermikspaß beginnt natürlich auch in
50, 100 oder 200 m. Je niederer man fliegt, desto mehr kann man beobachten und
seinen Flug bewusst in Richtung Aufwinde planen. Je höher, desto mehr überlässt
man das Finden von Thermik dem Zufall. Tragisch ist das etwas höher Steigen
nicht, denn in größeren Höhen sind die "Bärte" in der Regel breiter und
kräftiger. Das ist somit nicht nur der Bereich für die ganz großen
Modellflugzeuge, sondern auch für das Training des Thermik-Einsteigers.
Eines sollte nämlich auch klar sein: Von Nichts kommt nichts. Übung und
Erfahrung sind die wichtigsten Voraussetzungen für eine fortwährende
Verbesserung des Erkennens von aufsteigender Luft und der Nutzung dieser
Thermik. Zusammen mit der Auseinandersetzung mit wenigen und leicht
verständlichen Grundlagen, wie ich sie in diesem Buch vermitteln will, wird der
Thermikflug zunehmend erfolgreicher gelingen.
Kreis weg = Bart weg
Zu den Voraussetzungen gehört auch, dass man ein Segelflugmodell richtig
eingestellt hat und es sauber im Kreisflug steuern kann. "Kreis weg = Bart weg"
lautet ein sinnhafter Spruch. Hat man sich verknüppelt, fällt man also aus dem
Kreis, dann findet man den Bart nicht so einfach wieder.
Thermik braucht Sonne. Ohne Sonne geht nichts. Die Wärmeeinstrahlung der Sonne
schafft Temperaturunterschiede und das ist der Treibstoff, der den Motor Wetter
und Witterung zum Laufen bringt. Thermik ist im Grunde genommen der Ursprung
der wichtigsten Wetterphänomene. Temperaturunterschiede sorgen dafür, dass Luft
- im Kleinen wie im Großen - aufsteigt und deshalb andere Luftmassen
nachfließen. Wir bezeichnen diese Ausgleichsbewegungen in der Atmosphäre als
Wind.
Durch auf- und absteigende Luftmassen, die entweder feucht oder trocken sind,
in Reaktion mit vielen aktuellen und örtlichen Faktoren, entstehen
unterschiedliche Gegebenheiten in der Atmosphäre, die das unterschiedliche
Wetter machen und formen. So könnte man stark vereinfacht sagen, beginnt mit
unserer kleinen Thermik, die wir mit unseren ferngesteuerten Segelflugmodellen
nutzen, Wetter und Klima auf der ganzen Erde.
Für uns ist wichtig: Als Thermik bezeichnet man eine nach oben gerichtete
Luftströmung, die dadurch entsteht, dass warme Luft leichter als kalte Luft ist
und damit aufsteigt. In der Wissenschaft wird die Thermik mit dem Wort
Konvektion bezeichnet.
Je besser die Sonnenstrahlung zur Erde durchdringt, desto besser ihre Wirkung.
Somit scheint ein wolkenloser Tag die besten Voraussetzungen für gute Thermik
zu sein. Oft hat man bei diesen Bedingungen auch Erfolg - manchmal kommt's dann
doch anders - siehe weiteren Text. Zum Glück kann Thermik aber auch bei
bedecktem Himmel entstehen. Es lohnt also fast immer, einen Versuch zu wagen.
Der Wind "dreht"
Oft erlebe ich es auf den Modellflugplätzen: gerade ist die Winde aufgebaut
oder das Gummiseil ausgelegt, erschallt der Ruf: "Mist, jetzt hat der Wind
gedreht." Das ist aber nicht so. Der erfahrene Segelflieger hat sich informiert
und kennt die vorherrschende Windrichtung des Tages. Er weiß, dass plötzlich
Wind aus einer anderen Richtung nur eines bedeuten kann: eine thermische
Ablösung.

Unser Pilot weiß, dass heute der Wind von links (auf das Bild bezogen) kommt (der Doppelpfeil links in den Bildern). Er fliegt lehrbuchmäßig erst einmal dem Wind entgegen. Dann merkt er, dass der Wind ihm nicht mehr ins Gesicht bläst, sondern ins Genick. Und diese Strömung ist deutlich spürbar kühler.

Unser Pilot weiß nun, dass vor ihm eine thermische Ablösung stattfindet. Er ist somit für die Nutzung dieser Thermik gerade in der richtigen Richtung unterwegs.

Diese Ablösung saugt aus allen Richtungen bodennah Luft an (wir erinnern uns, es kann kein Vakuum entstehen). Er muss jetzt nur noch hoffen, dass die Ablösung nah genug ist, so dass sein Modell sie trifft, solange es in Sichtweite ist. Andernfalls muss er unverrichteter Dinge umkehren.

Würde unser Pilot genau auf der anderen Seite des Thermikschlauches und mit dem Rücken zum Wind stehen, würde er nur eine leichte Abkühlung bemerken können, aber eine deutliche Verstärkung des Windes. Zur vorherrschenden Windrichtung addiert sich dort die Strömung, die vom Thermikschlauch angesaugt wird. Kommt die kühlere Strömung seitlich, wird das Treffen des Thermikschlauchs etwas schwieriger. Durch die vorherrschende Windrichtung wird die von der Thermik angesaugte Luft in ihrer Richtung schräg versetzt. Je stärker der Wind, desto stärker ist dieser Effekt.

Schon des Öfteren habe ich den Start an der Winde gemacht, wenn plötzlich Rückenwind zu spüren war. Meist bin ich so direkt in die Thermik hinein gestartet - aber manchmal auch daneben. Das Risiko eines solchen Starts ist gering, wenn man sich bewusst ist, dass man während des Starts am Seil eher Tiefen- als Höhenruder geben muss. Da man Rückenwind hat, muss man das Modell deutlich schneller fliegen lassen, sonst fällt es aus dem Seil. Die Ausklinkhöhe ist wesentlich geringer als bei einem Gegenwind-Start.

Betrachten wir das Ganze mal von oben. Der Pilot steht am rechten Rand der Zeichnung (das schwarze Oval). Die angedeutete Antenne zeigt in die Blickrichtung des Piloten. Der Wind weht ihm (von links) entgegen. In einiger Entfernung baut sich vor ihm eine Thermik auf. Dieser Aufwind saugt nun aus allen Richtungen - vor allem bodennah - die Luft ab. Das kann zu einer Verminderung der Windgeschwindigkeit aus der vorherrschenden Windrichtung führen. Je näher oder je stärker die Ablösung ist, desto eher kann diese Luftströmung dazu führen, dass eine gefühlte Windstille eintritt. Wird sie noch kräftiger - wie in unserem Beispiel - wird der vorherrschende Wind sogar überlagert.

Dann spürt unser Pilot bald einen kühleren Luftstrom von hinten, was gut im Genick zu fühlen ist. Übrigens: Wettbewerbspiloten stehen an genügend warmen Tagen gerne leicht bekleidet, das heißt mit kurzen Hosen oder gar nacktem Oberkörper am Start. So spüren sie die feinsten Änderungen der Luftbewegungen noch besser.

Etwas komplexer werden die Geschehnisse, wenn sich die Ablösung seitlich versetzt zur vorherrschenden Windrichtung aufbaut. Um die Thermikstelle herum passiert natürlich genau das Gleiche wie im vorhergehenden Fall. Aber um den Piloten herum wird es anders. Die vorherrschende Windströmung lenkt die zur Thermikquelle fließende Luft seitlich ab.

Einfacher überschaubar
ist es wiederum, wenn sich die Thermik in Windrichtung gesehen hinter dem
Piloten aufbaut. Jetzt addieren sich der vorherrschende Wind und die von der
Thermik angesaugte Luft. Der gefühlte Wind wird stärker - und natürlich wieder
etwas kälter.
Mit zunehmender Übung kann - und soll - natürlich auch mit dem Wind, im
Rückraum, nach Aufwinden gesucht werden. Da der vorherrschende Wind jetzt erst
mal am Piloten vorbei muss, kann man so am besten leichteste Änderungen in der
Windrichtung spüren und sofort mit seinem Modell darauf reagieren. Man spürt
die Veränderung bevor sie den Segler erreicht. In den Thermik-Wettbewerben wird
deshalb sehr oft, von manchen Piloten fast ausschließlich, im Rückraum
geflogen.
Zum Glück macht es uns die Natur nicht so einfach, sondern stellt die
Thermikablösungen immer wieder an andere Positionen. Manchmal gleichzeitig,
manchmal aber auch nacheinander. Das hält uns in Bewegung und macht das
Thermikfliegen so schön spannend.

Mit leichten F5J-Seglern, wie der Maxa Pro 4 m Megalight von Vladimir's/Mahmoudi (Spannweite 3.925 mm, Gewicht 1.244 g) gelingt der Einstieg in die Thermik schon bei etwa 20 m Höhe. Wer dennoch den Kick des motorlosen Segelfliegens möchte, baut sich einen Limiter wie den Altis V4+ ein und unterbindet die Möglichkeit, den Motor wieder einschalten zu können. Das ist dann Segelfliegen pur, auch ohne Winde.
Dieser Beitrag ist ein Auszug
aus meinem Buch
Aufwinde
kennen - finden - nutzen
80 Seiten, Format 16,5 x 23 cm
163 Abbildungen, Best.-Nr.: 3102250
Preis: 19,90 € [D]

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